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Die Frauen von Nidden
Die Frauen von Nidden standen am Strand,
über spähenden Augen die braune Hand
und die Böte nahten in wilder Hast,
schwarze Wimpel flogen züngelnd am Mast.
Die Männer banden die Kähne fest
und schrieen: "Drüben wütet die Pest!
In der Niedrung von Heydekrug bis Schaaken
gehen die Leute im Trauerlaken!"
Da sprachen die Frauen: "Es hat nicht Not,
vor unsrer Türe lauert der Tod,
jeden Tag den uns Gott gegeben,
müssen wir ringen um unser Leben.
Die wandernde Düne ist Leides genug,
Gott wird uns verschonen, der uns schlug!" - - -
Doch die Pest ist des Nachts gekommen
mit den Elchen über das Haff geschwommen.
Drei Tage lang und drei Nächte lang
wimmernd im Kirchstuhl die Glocke klang.
Am vierten Morgen schrill und jach
ihre Stimme in Leide brach.
Und in dem Dorfe, aus Kate und Haus,
sieben Frauen schritten heraus,
sie schritten barfuß und tiefgebückt
in schwarzen Kleidern buntgestickt.
Sie klommen die steile Düne hinan,
Schuh und Strümpfe legten sie an,
und sie sprachen: "Düne, wir sieben
sind allein noch übriggeblieben.
Kein Tischler lebt der den Sarg uns schreint,
nicht Sohn und nicht Enkel der uns beweint,
kein Pfarrer mehr, uns den Kelch zu geben,
nicht Knecht noch Magd ist mehr unten am Leben -
Nun, weiße Düne, gib wohl acht:
Tür und Tor ist dir aufgemacht,
in unsre Stuben wirst du gehn,
Herd und Hof und Schober verwehn.
Gott vergaß uns, er ließ uns verderben.
Sein verödetes Haus sollst du erben,
Kreuz und Bibel zum Spielzeug haben, -
Nur, Mütterchen, komm uns zu begraben!
Schlage uns still ins Leichentuch,
du unser Segen, einst unser Fluch. -
Sieh, wir liegen und warten ganz mit Ruh" -
- und die Düne kam und deckte sie zu.
-Agnes Miegel-
🪦 09.03.1879 in Königsberg i. Pr. - 26.10.1964 in Bad Salzuflen
@DeutscheDD
Bild: Friedhof in Nidden auf der Kurischen Nehrung
BY Deutsche Dichter und Denker
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